Sonntag, 5. August 2007

Unser aller Vermögen

Goldkinder. Die Welt des Vermögens - das neue Buch von Thomas Druyen.

Von Winfried Kretschmer

"Wer weiß, wie viel er hat, ist nicht wirklich reich", hat Gloria von Thurn und Taxis einmal gesagt. Und damit ein Problem umrissen, das weltweit immer mehr Menschen teilen. Denn die Zahl der Milliardäre wächst, ebenso das von ihnen gehortete Vermögen.

Ein Soziologe dreht nun den Spieß um. Er sagt: Entscheidend ist nicht, was man hat, sondern was man damit macht. Nicht im materiellen Besitz liegt das wahre Vermögen, sondern in dem, was jemand vermag. Vermögen ist auch, was wir sind und was wir können: vor allem die Fähigkeit zur selbstbestimmten Gestaltung eines guten Lebens. Im Humanvermögen liegt die am weitesten verbreitete und am wenigsten genutzte Ressource des Erdballs. / 07.05.07

Nichts ist so verführerisch wie Reichtum. Woche für Woche fiebern Millionen von Menschen der Ziehung der Lottozahlen entgegen, in der Hoffnung, dass ihr großer Traum vom großen Geld wahr werden könnte: endlich reich sein! Dazugehören zur schillernden Welt der Reichen und Superreichen, einer Welt, deren schöner Schein Tag für Tag auf dem Boulevard zur Schau gestellt wird.

Doch ist Reichtum offenbar eine ambivalente Angelegenheit: Während der offen zur Schau gestellte Reichtum einer Klasse von Erben und gehypten Medienstars den Stoff für die Träume von Millionen bildet, steht andererseits unternehmerisch erworbener Reichtum gerade in Deutschland unter einer Art Generalverdacht.

Von Ausbeutung spricht zwar kaum noch jemand, aber das Marx'sche Konstrukt, wonach sich der Unternehmer den vor den Arbeitern geschaffenen Mehrwert aneigne, spukt als eine Art rudimentärer Sozialismus immer noch in den Köpfen vieler Menschen hierzulande herum. Dieses Denken bildet das Substrat, auf dem gesellschaftliche Neiddebatten gedeihen. Und es verstellt den Blick auf das, was unternehmerische Leistung auszeichnet.


Neid und Voyeurismus.

So prägen Neid und Voyeurismus den Umgang mit dem Reichtum, der gleichwohl immer noch eine zentrale Antriebskraft der Wirtschaft darstellt. Das Habenwollen ist der Motor unseres Wirtschaftssystems. Und zugleich ist der Besitz der härteste Selektionsfaktor unserer Welt.

Was einer hat, das bestimmt weitgehend über seine Chancen. Der Besitz spaltet die Welt in einige wenige, die reich, vielleicht sogar superreich sind, und eine große Mehrheit, die nur wenig hat, vielleicht sogar von der Hand in den Mund lebt. Nirgendwo zeigt sich die Ungleichheit der Menschen so deutlich, wie an ihrer ungleichen Ausstattung mit materiellen Ressourcen.

Zwischen den Lebensbedingungen der Armen und denen der Reichen liegen Welten. Während weltweit die reichsten zwei Prozent der Bevölkerung mehr als die Hälfte des globalen Privatvermögens auf sich vereinen, besitzt die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nur ein Prozent davon.

Bitterer Not steht ein schier unermesslicher Reichtum gegenüber, dessen wirkliche Dimensionen sich nur erahnen lassen. Im Gegensatz zu Dagobert Duck, dem das Bad in seinen angehäuften Dukaten zumindest einen sinnlichen Eindruck seines Besitzstandes verschaffte, entzieht sich der Reichtum der Superreichen jeder Vorstellungskraft. Für sie gilt der legendäre Ausspruch der Fürstin Gloria von Thurn und Taxis: "Wer weiß, wie viel er hat, ist nicht wirklich reich."

Knapp tausend Milliardäre gibt es auf der Welt, die zusammen ein Vermögen von insgesamt 3,5 Billionen US-Dollar besitzen - Tendenz: steigend. Sowohl die Zahl der Superreichen wie auch die Summe des von ihnen angehäuften Vermögens nehmen zu.


Was machen die mit ihrem Geld?

Nur, was machen die Superreichen eigentlich mit ihrem Geld? Diese Frage hat Thomas Druyen keine Ruhe gelassen. Goldkinder lautet der, einem Märchen der Gebrüder Grimm entlehnte Titel des Buches, in dem der Soziologe erste Antworten sucht und zugleich die Vermögensforschung als neuen Forschungszweig zu begründen sucht. Zu erforschen gibt es genug, denn abgesehen von den Berichten der Regenbogenpresse über die Reichtums-Schickeria ist über die Vermögenden weit weniger bekannt, als über die Lebensverhältnisse von Mittel- und Unterschicht.

Was sich hinter dem schönen Schein des Glamours in der Welt der Reichen tut, darüber liegt immer noch der Mantel der Diskretion. Den versucht Druyen nun ein Stück weit zu lupfen und fördert dabei - wen wundert's - höchst Ambivalentes zutage: Auf der einen Seite ist da die Luxuswelt von Champagner und Kaviar, von Gold und Brillianten, deren Protagonisten sich auf dem Boulevard tummeln. Auf der anderen Seite sind da Superreiche wie Bill Gates und Warren Buffet, die beiden reichsten Männer der Welt, die - in der Tradition der amerikanischen Philanthropie - ihr Vermögen in den Dienst des Wohltätigen stellen, um so der Gesellschaft, die ihnen zu ihrem Reichtum verholfen hat, etwas zurückzugeben.

Dass es sich dabei keineswegs nur um Ablassrituale handelt, mit denen sich hässliche Reiche von ihrer Verantwortung freikaufen wollen, das zeigt die wohl höchste Spende der Geschichte: Der Großinvestor Warren Buffet schenkte der Gates Foundation im Juni 2006 die Summe von 32 Milliarden Dollar. Mit einem Stiftungskapital von 60 Milliarden Dollar ausgestattet, kann die Gates Foundation nun jährlich drei Milliarden Dollar für wohltätige Zwecke ausgeben, unter anderem für Impfprogramme in der Ditten Welt, die die Stiftung maßgeblich mitfinanziert.

Wie unterschiedlich Reiche mit ihrem Reichtum umgehen, ist für Thomas Druyen sowohl theoretischer Ausgangspunkt wie auch normativer Bezugspunkt eines Vermögensbegriffs. Ausgangspunkt, weil die Art und Weise, mit der Reiche ihren angesammelten Reichtum nutzen, den Unterschied zwischen Reichtum und Vermögen begründet. Bezugspunkt, weil der Typus des philanthropischen Unternehmers - ganz amerikanisch gedacht - für Druyen das Leitbild einer zu schaffenden Vermögenskultur hierzulande sein sollte. Doch eines nach dem anderen.


Reichtum ist nicht gleich Vermögen.

Schon die Gebrüder Grimm beschreiben in ihrem Deutschen Wörterbuch Vermögen einerseits als "geld, besitzthum, die gesamten geldwerthen güter einer person", andererseits aber auch als "fähigkeit und können". Dieser zweite, immaterielle Bedeutungsgehalt ist der Fixierung auf dem materiellen Besitz jedoch weitgehend zum Opfer gefallen, ebenso wie "der große Traum vom guten Leben in den wohlhabenden Ländern zum bloßen Wunsch nach dem 'großen Geld' verkümmert sei“, wie Druyen schreibt.

Für ihn ist das Anlass, begrifflich klar zwischen Reichtum und Vermögen zu unterscheiden: Während Reichtum alle materiellen Ressourcen einer Person umfasst, ist Vermögen "nicht nur das, was wir haben, sondern auch das, was wir sind". In diesen erweiterten Begriff sind "alle Werte mit einbezogen, die uns für ein gelingendes Leben unverzichtbar erscheinen".

Dazu gehören Beziehungen ebenso wie Erfahrungen, Kompetenzen, Fähigkeiten, Talente und ein ethischer Bezugsrahmen für das eigene Handeln. Die Familie, Bildung, Gesundheit, das Alter mehren ebenso das Vermögen einer Person, wie deren Fähigkeit, die eigenen Potentiale zu erkennen und systematisch weiterzuentwickeln.

Hier trifft sich Druyens Vermögensbegriff mit dem Megatrends Individualisierung und Wissensgesellschaft - und zeigt sich damit auf der Höhe der Zeit: Vermögen ist die Fähigkeit, sein Leben selbst gestalten, zu einem unverwechselbaren Individuum zu werden, das seinen Alltag aus eigener Kraft und selbstbestimmt zu meistern vermag - oder anders gesagt: ein erfülltes, "gutes" Leben zu führen.

Es ist kein Zufall (und schon gar nicht Resultat neoliberaler Ideologie), dass die Parole der Selbstbestimmung immer deutlicher zu vernehmen ist. Denn sie liegt sowohl in der Logik einer weiter fortschreitenden Individualisierung, wie auch der Entwicklung hin zu einer Gesellschaft, deren Wertschöpfung im Wesentlichen aus der Generierung von Wissen entspringt. Und dafür erweisen sich Konformität, Folgsamkeit und Unterordnung als wenig geeignet.

Gefragt sind Nonkonformisten, Querdenker und Rebellen - nicht der Lust an der Rebellion wegen, sondern weil die Fähigkeit zu Differenz und Widerspruch erst das Neue zutage fördert.

"Werde, der du sein willst!", "Bringe deine Potentiale zur Entfaltung!", "Sei authentisch!", lauten deshalb die Maximen einer neuen Arbeitsgesellschaft, in der es entscheidend auf Individualität und Vielfalt ankommt. Der Schatz liegt in jedem selbst, das ist die Botschaft dieses Buches: "Es gibt kein größeres Geschenk, als Menschen das tun zu lassen, was sie wirklich wollen."


Ökonomie der Großzügigkeit.

Das ist die individuelle Botschaft von Thomas Druyen. Aber er bietet auch eine soziale Vision - und die speist sich ganz wesentlich aus der Verantwortung des Unternehmers für die Gesellschaft, die ihm die Möglichkeit gibt, gute Geschäfte zu machen.

Letztlich offenbart sich der Unterschied zwischen materiellem Besitz und Vermögen am Verhalten jedes einzelnen Menschen. Was der Einzelne mit seinem Vermögen anfängt, bezeichnet Druyen als Vermögenskultur. Entscheidend dafür sind wiederum die immateriellen Vermögenswerte. Gates und Buffet sind für den Autor "echte Vermögende", weil sie sich von ethischer Verantwortung für die Gesellschaft leiten lassen.

Diese "Ökonomie der Großzügigkeit", wie sie in den Vereinigten Staaten verbreitet ist und von den beiden philanthropischen Unternehmern so vorbildlich verkörpert wird, ist für Druyen das große Leitbild auch für Deutschland: Ihm schwebt eine "Megastiftung" vor, in der sich "Vermögende zusammentun, um klar erkannte Problemlagen anzugehen". Denn ohne das Vermögen Vermögender, ist sich Druyen sicher, wird es nicht möglich sein, die Probleme dieser Welt zu lösen.

Winfried Kretschmer ist leitender Redakteur und Geschäftsführer bei changeX.

Thomas Druyen:
Goldkinder.
Die Welt des Vermögens.
Murmann Verlag, Hamburg 2007,
238 Seiten, 22.50 Euro,
ISBN 978-3-938017-85-2
www.murmann-verlag.de

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